Warum die Befreiung Palästinas ein feministisches Anliegen ist
Das zionistische siedlerkoloniale Projekt hatte von Beginn an zum Ziel, sowohl die Kontrolle über das gesamte Gebiet vom Jordanfluss mit zum Mittelmeer zu erlangen, als auch eine jüdische Mehrheit auf ebendiesem Gebiet herzustellen. Das ist mittlerweile gut belegt durch Schriften und Ansprachen israelischer Politiker – von den vermeintlich liberalen Gründervätern Israels wie Ben-Gurion und Weizmann, bis hin zu den offen faschistischen Ministern von heute wie Ben-Gvir oder Smotrich. Vor dem Hintergrund, dass Jüd:innen in Palästina historisch eine Minderheit darstellten, mussten die gewünschten demographischen Verhältnisse im Zuge der Staatsgründung Israels durch ethnische Säuberungen und Massaker an Palästinser:innen hergestellt werden, bekannt als die Nakba.
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass bereits die schiere Existenz und Reproduktion von Palästinenser:innen eine Bedrohung für das Aufrechterhalten und Vorantreiben des zionistischen Vorhabens darstellen. Deshalb ist die israelische Antwort, neben dem Fortführen der Nakba, das Entziehen reproduktiver Rechte. Das Vorgehen des israelischen Militärs in Gaza seit dem 7. Oktober macht das wie unter einem Brennglas deutlich: Der Genozid vollzieht sich neben der Flächenbombardierung Gazas durch systematisches Aushungern der Bevölkerung und das Blockieren von Medikamentenlieferungen.
Das bedeutet für palästinensische Frauen eine hohe Rate an Fehlgeburten, Kaiserschnitte ohne Betäubungsmittel oder ein Versiegeln der Muttermilch, was wiederum massenhaftes Säuglingssterben zur Folge hat.
Dazu kommt, dass palästinensische Frauen und Mädchen in Gaza, aufgrund der Blockade von Hilfslieferungen, kaum Zugang zu Menstruationsprodukten haben. Dies zwingt sie dazu, Periodenprodukte mit Fetzen von Zelten zu ersetzen, in denen sie, angesichts ihrer Vertreibung und der Zerstörung ihrer Häuser untergebracht sind.
UN-Statement vom Februar 2024
Palästinensische Frauen sind massiver Gewalt durch israelische Soldaten ausgesetzt – nicht nur in Gaza, sondern auch in der Westbank. UN-Expert:innen veröffentlichten erst vor kurzem ein Statement, in welchem sie über die Zunahme willkürlicher Hinrichtungen und Inhaftierungen von Frauen seit dem 7. Oktober informieren, darunter viele Menschenrechtsverteidigerinnen und Journalistinnen. Diese unabhängigen Untersuchungen bestätigten Fälle von Folter in Form von Prügel, Vergewaltigungen und erniedrigender Behandlung, welche diese Frauen in israelischen Gefängnissen erleben. Diese Taten stellen gravierende Menschen- und Völkerrechtsverletzungen dar, auf welche die deutsche Politik jedoch nur mit betäubendem Schweigen reagiert.
Gegen westlich-imperialen Feminismus
Die wenigen Male, in denen deutsche Politiker:innen vorgeben, sich für die Belange arabischer und muslimischer Frauen einzusetzen, geschieht dies oft unter dem Vorwand einer “feministischen Außenpolitik”, die letztlich nur westlich-imperiale Interessen unterstützt. In dem Zusammenhang wird häufig das rassistische Narrativ der hilfsbedürftigen muslimischen Frau verwendet, welche von ihrem gewalttätigen, unterdrückerischen Mann befreit werden muss.
Ebenso wird häufig argumentiert, Frauen und queere Menschen könnten niemals frei unter der ultrakonservativen Hamas leben, und das Israel Gaza daher “befreien” müsse. Es handelt sich dabei um eine menschenverachtende Instrumentalisierung feministischer Anliegen: man rechtfertigt dabei das massenhafte Ermorden von genau den Menschen, die man vorgibt, befreien zu wollen. Für uns ist klar, dass so eine Haltung mit Feminismus nichts zu tun hat.
Zwei Feministische Ikonen
Ahed Tamimi (23, Nabi saleh)
Die palästinensische Widerstandsikone aus der Aktivistenfamilie Tamimi erlangte bereits im Alter von elf Jahren Aufmerksamkeit, als sie israelischen Soldaten mit erhobener Faust entgegentrat. Sie ist bekannt dafür, sich auch körperlich mit vollem Einsatz gegen die Besatzungssoldat:innen zu verteidigen und dabei ihre Familie sowie Mitmenschen zu schützen.
Ahed Tamimi erregte damit viel Aufsehen und gewann Anerkennung in der palästinensischen Bevölkerung. Im November 2023 wurde sie unter dem Verdacht der Anstiftung zur Gewalt und terroristischen Aktivitäten festgenommen, jedoch später freigelassen. Sie spricht offen über die Behandlung von Frauen im Gefängnis, die dort ohne Nahrung, Wasser und unter Missbrauch leiden.
Zulaykha al-Shihabi (1903-1992)
Als Pionierin der Frauenbewegung im palästinensischen Gebiet während des britischen Mandats, begann sie bereits als Teenagerin Frauen für Proteste und Streiks gegen koloniale Politik zu rekrutieren. Ihre politische Arbeit konzentrierte sich darauf, palästinensische Frauen zu organisieren, zu bilden und sie im Kampf gegen die zionistische Bewegung durch wirtschaftliche Arbeit zu stärken.
Sie war Teil der ersten palästinensischen Konferenz, aus der 1964 die PLO hervorging, und spielte eine entscheidende Rolle bei der Gründung der Allgemeinen Union palästinensischer Frauen im Jahr 1965. Nach der Besetzung Ost-Jerusalems durch Israel im Jahr 1967 wurde sie im Alter von 64 Jahren deportiert.
“Kein freies Heimatland ohne freie Frauen”
Wie in anderen Gesellschaften existiert auch in der palästinensischen Gesellschaft das Patriarchat. Das Instrumentalisieren dieser Tatsache, um Unterdrückung zu legitimieren, lässt Überlebende von sexueller Gewalt im Stich. Feminist:innen sollten sich stattdessen mit ihren Schwestern im globalen Kampf für Geschlechtergerechtigkeit vereinen. Nach einer Serie von Frauenmorden im Jahr 2019 begannen palästinensische Feministinnen von Rafah über Ramallah bis nach Haifa ’48, sich als Tal’at-Bewegung zu organisieren.
Sie erklärten:
“Tal’at ist Teil einer revolutionären feministischen Tradition. Kurz gesagt, ein Feminismus, der über individuelle geschlechtsbezogene Forderungen hinausgeht und uns dazu auffordert, für eine gerechtere und gleichberechtigte Welt für alle zu kämpfen. Unsere Bewegung wird von unseren gelebten Erfahrungen von mehr als sieben Jahrzehnten israelischer siedlerkolonialer Gewalt geprägt. Als Volk werden uns unsere grundlegendsten Rechte und Bedürfnisse genommen, während unsere kollektive Entwicklung und unseren Widerstand gelähmt wird. Diese Realität zwingt uns dazu, Erfahrungen von Gewalt – in ihren vielfältigen Formen – als soziale und politische Angelegenheit zu analysieren, die an ihrer Wurzel und kollektiv als Gesellschaft angegangen werden muss” (aus dem Englischen übersetzt)
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